Die halbe Welt hat an Ostern geschlossen

Lieber Leser,

das Osterfest 2020 präsentiert sich uns in einem neuen, wahrscheinlich einmaligen Gewand. Weltweit ist die Hälfte der Erdenbürger durch eine Ausgangsbeschränkung isoliert, auch wir sind davon betroffen:

Keine Gottesdienstbesuche, Keine Urlaubsfahrten, Keine Familienbesuche oder Einladungen von und zu Freunden sind erlaubt. Auf all das müssen wir am Osterfest 2020 zum Schutz unserer Gesundheit verzichten. Zwar verlegt Papst Franziskus nicht das Osterfest, lässt aber keine Pilger auf den Petersplatz.

Viele Osterspaziergänge werden 2020 wohl unter „Polizeischutz“ stattfinden. Hierbei kann man dann testen, wie es sich anfühlt, das gesamte Jahr über unter Polizeischutz in der Öffentlichkeit sich aufzuhalten, wie es scheinbar die politische Prominenz als Realität schon seit Jahren uns vorlebt.

Inzwischen wird man landauf und landab weiter umfassend über die Corona-Hilfen unterrichtet. Unsere Corona-Infos finden Sie auf einer eigenen Website.

Wie Trittbrettfahrer die unbürokratischen Unterstützungen nutzen, hat das Handelsblatt vom 09.04.2020 aufgedeckt. NRW hat die Hilfen-Auszahlungen vorerst gestoppt.

In der Zwischenzeit schalteten wir einige Male auch die WPK ein, wenn wir glaubten, Schieflagen bei Behörden anzutreffen. Mitglieder hatten uns auf eine Schieflage bei der BAFA hingewiesen. Vorgang: Die BAFA hatte die Registrierung von WPs zum BAFA-Berater verweigert. Scheinbar hat sich bei der BAFA noch nicht herumgesprochen, dass nicht nur die BIG-4 Unternehmensberater sind, sondern alle Wirtschaftsprüfer geprüfte Unternehmensberater mit Examen sind. Deswegen sollte ein WP auch kein Qualitäts-sicherungssystem für die Unternehmensberatung bei der BAFA vorlegen müssen. Diesen QS-Nachweis forderte die BAFA bei einer Kollegin an, die WP-Bestellungsurkunde reichte ihr nicht. Dieses BAFA-Vorgehen wirft ein schlechtes Licht auf die Behörde, die seit Juni 2016 auch Wirtschaftsprüfer in der Abteilung APAS angestellt hat. Liegt es vielleicht daran, dass die Außenstelle APAS Berlin immer noch nicht in die BAFA-Zentrale Eschborn integriert ist?

 

Inzwischen konnte durch Aufklärung anscheinend die BAFA davon überzeugt werden, dass StB und die noch höher qualifizierten WPs sehr viele auch als Unternehmensberater tätig sind. Donnerstagabend versandte die StBK München einen Sonder-Newsletter mit dem Hinweis: „Betriebswirtschaftliche Beratung durch Steuerberater ist förderfähig“. Vielen Dank an die Unterstützer!

 

In einem Sonder-Newsletter informierte die StBK Rheinland-Pfalz: Bundesamt für Justiz schafft wegen der Corona-Krise Erleichterungen für Unternehmen bei Fristüberschreitung im Rahmen der Offenlegung. Dann gibt es noch einen Artikel aus dem Hause Haufe zu einem Thema, das wir schon kennen: Steuerliche Behandlung von Corona-Soforthilfen. Diesen Artikel legen Sie bitte Ihren Mandanten vor.

 

Dann möchte ich Ihnen nicht vorenthalten den 3. Teil der wohl x-teiligen IDW-Trilogie zu "Zweifelsfragen und zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf Rechnungslegung und Prüfung".

„Wirtschaftsprüfung mit Zukunft“

Was kann die durch Corona ausgelöste Krise für uns bedeuten und wie können wir diese Krise für den WP-Mittelstand und die Einzelpraxen nutzen?

 

Solidarität als gelebtes ethisches Prinzip

Nicht selten liest oder hört man in diesen Tagen folgende "Froh-Botschaft": Wir müssen diese Krise nutzen (zu was?). Nach dieser Krise wird die Welt eine andere sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ob diese Krise positive Änderungen auch für die Wirtschaftsprüfung bringen wird? Mich überkommt nach 20 Jahren Berufspolitik dazu eher starker Zweifel.

Die Geschichte von wp.net, die ich gerade für das Magazin 2020 in einer Chronik beschrieben habe (hier kommen Sie zur Kurz-Chronik), macht mich jedoch zuversichtlich. Dabei denke ich insbesondere an unsere 800 wp.net-Mitglieder. Meine Zuversicht an bessere Zeiten für die mittelständische Wirtschaftsprüfung speist sich aus den zurückliegenden 15 Jahren mit wp.net. Trotz des Kampfes gegen wp.net haben die 800 Mitglieder seit 2012 wp.net die Treue gehalten und der Idee einer besseren, also auch mitgliederorientierten WP-Kammer und der freiberuflichen Wirtschaftsprüfung die Treue gehalten. Bedauerlicherweise haben seit 2004 rund 1500 Praxen das Geschäftsfeld "Abschlussprüfung" aufgegeben. Für uns ist dies die Reaktion vor allem wegen dem fehlenden Augenmaß in den IDW-Standards zur Qualitätssicherung und -kontrolle.

 

Ohne gelebte Solidarität geht es nicht.

Die Solidarität im wp.net-Mitgliederkreis zeigt sich beispielsweise darin, dass Kollegen/-Innen bereit sind, das Wissen für "neue" Prüfungen den Mitgliedern zur Verfügung zu stellen. Die Solidarität zeigt sich auch darin, einem Mitglied für eine Konsultation zur Verfügung zu stehen. So wie jüngst nach unserer Mitgliederanfrage nach einer Konsultation über die IT-Prüfung nach PS 880. Es haben sich inzwischen zwei Kollegen für diese Telko-Konsultation gemeldet. Herzlichen Dank! Ich könnte noch viele Fälle gelebter wp.net-Mitglieder-Solidarität aufzählen. Ich werde zur wp.net-Mitgliedersolidarität im wp.net-Magazin 2020 einen Artikel über die Hilfsbereitschaft der wp.net-Mitglieder untereinander zu Papier bringen. 

Schon allein durch ihre Mitgliedschaft bei wp.net haben die Mitglieder den Beweis dafür erbracht, dass sie verstanden haben, dass ohne solidarisches Handeln wir die von den Big4 angestoßene schiefe Entwicklung nicht stoppen, geschweige denn umdrehen werden können.

Zukunftsthema: Nachhaltige Wirtschaftsprüfung

 

Sind Big4-Wirtschaftsprüfer die Schriftgelehrten des Neoliberalismus?

Mit dem Begriff „nachhaltige Wirtschaftsprüfung“ meine ich nicht, dass wir weniger Papier im Büro verbrauchen sollten. Ich beziehe die Nachhaltigkeit auf die Art und Weise, wie wir Wirtschaftsprüfung in der Tagesarbeit hegen und leben sollten. Dies fängt an bei unseren originären Aufgaben als Wirtschaftsprüfer. Seit 1931 sind die vorrangigen Aufgaben eines Wirtschaftsprüfers die Prüfung der Rechnungslegung und der Berichterstattung eines Unternehmens.

 

So sollte der Wirtschaftsprüfer weder aktiv, noch passiv bei CUM-EX-Geschäften im Steuerbetrug dabei sein. Dies bedeutet, da unsere Aufgabe mehr ist, als nur ein Teil der Rechtspflege, wie beim Rechtsanwalt oder Steuerberater.

 

Wir sollten auch nicht als die Schriftgelehrten des Neoliberalismus fungieren, wie dies uns die Big4 seit über 20 Jahren vorleben. Werner Rügemer beschreibt in seinem Aufsatz "Der Mythos der ökonomischen Effizienz" Der Mythos der ökonomischen Effizienz diese Big4-Tätigkeit wie folgt: "Sie interpretieren die hochkomplizierten Bilanzvorschriften, die sie selbst verfassen und passen sie an die Anforderungen der Unternehmensvorstände an." Unter diese Anpassung fällt für mich die grobfahrlässige Bilanzierung und Bewertung der wertlosen Goodwills in den 30 Dax-Unternehmen (aktuell rund 300 Mrd. EUR), die jedes Jahr - dank IDW S1 - das  Werthaltigkeitssiegel bekommen, obwohl jeder doch wissen sollte, dass an den Goodwills fast nichts nachhaltig ist.

 

Die Wirtschaftsprüfer sollten einer der Garanten einer nachhaltigen Marktwirtschaft sein. Diese Garantenstellung kann ich weder in der Mitwirkung bei den CUM-EX-Geschäften, noch in der Unterstützung der Fair Value Bewertung erkennen, um nur zwei Beispiele zu nennen.

 

Das Big4-Geschäftsmodell ist geprägt von der Unerschöpflichkeit und Unbegrenztheit der Aktivitäten im Dienstleistungs- und Marketingbereich. Für solche Wirtschaftsprüfer sind natürlich manche Beschränkungen der WPO hinderlich. So versucht die IDW-Führung die Kapitalbindung nach § 28 WPO vom Gesetzgeber aufheben zu lassen.

 

Weiter möchte Big4 u.a. auch an der Vermarktung ihrer Software verdienen und deswegen gehört für das IDW die Entwicklung, Verbreitung und Implementierung von IT-Lösungen zu den unter § 2 II Nr. 3 WPO genannten prägenden Tätigkeiten.

 

Schon vor einiger Zeit hat ihr Chef-Lobbyist gefordert, die gesetzliche Abschlussprüfung abzuschaffen. Der Wirtschaftsprüfer sollten sich vielmehr der Zertifizierung aller möglicher Dienstleistungen und Produkte zuwenden. Vorteil: Dieses Zertifikat ist ohne Risiko. Das Zertifikat taugt zwar nichts, kann aber dem zertifizierten Unternehmen für ihr Marketing nützlich sein, wie bei VW und ihre jahrelange Zertifizierung durch den Automotive Innovations Award. Verliehen wird dieser Preis von PWC (Abschlussprüfer bei VW) und dem Center of Automotive Management (CAM).

 

Über viele Jahre hinweg hat PWC zusammen mit CAM ihrem Prüfmandat VW u.a. durch den Awardpreis als innovationsreichster Autokonzern geehrt. Dies geschah vor und auch noch nach Bekanntwerden des Dieselbetrugs. Nur kurze Zeit nach ihrem Zertifikat 2014 – im Sept. 2014 - wurde der von PWC zertifizierten Autohersteller Volkswagen von der amerikanischen Umweltbehörde des Betrugs überführt. Abschlussprüfer bei VW war seit Jahrzehnten schon PWC und der "Chefprüfer" war der PWC-Chef Prof. Winkeljohann. Dieser muss 2014 mit VW wohl besonders lukrative Beratungsdeals geschlossen haben. 2014 explodierten die Beratungserlöse von 11 Mio. auf 17 Mio. EUR, die Prüfungshonorare blieben mit 13 Mio. EUR erstmals auf der Strecke. PWC setzte diese Preisverleihung über die Jahre hinweg fort.

 

Auch 2015 wurde VW von PWC+CAM wieder zum innovationsstärksten Automobilkonzern gekürt. Diese Dauer-Verklammerung zwischen Prüfung und Preisverleihung an den Geprüften ist für mich das Gegenteil von nachhaltiger Wirtschaftsprüfung. Hätte doch PWC besser - aufgrund ihrer wohl hohen Motorenfachkompetenz - Herrn Winterkorn den Hinweis zugesteckt, dass mit den Abgaswerten bei den Dieselmotoren etwas nicht stimmen kann. Scheinbar war PWC als Zertifikator zu stark abgelenkt, um die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit zu praktizieren. Erstaunlich finde ich die immer wiederholten Argumente aus dem Hause der Big4 für solche übermäßigen WP-Fremddienstleistungen: Wir brauchen die Beratung, damit wird Abschlussprüfung qualitativ unterstützt!

 

Reden ist Silber -  Schweigen ist Gold

Besser für das PWC-Beratungsgeschäfts war es wohl, den VW-Dieselbetrug nicht auf dem Prüferrisikoschirm gehabt zu haben. Obwohl die Kategorien "Konventionelle und Alternative Antriebe" die Auszeichnungskategorien des Jahres 2014 waren, hat wohl kein PWC-Fach-WP eine Plausibilitätsprüfung vorgenommen. Solche von der Öffentlichkeit wahrgenommenen Interessenskollision zerstören eine der wertvollsten Ressource, die die Wirtschaftsprüfung besitzt, ihre Glaubwürdigkeit.

 

Prof. Naumann von FAZ zum obersten Wirtschaftsprüfer zertifiziert

IDW Vorstandssprecher, Prof. Naumann, hat sich vor kurzem vom FAZ-Journalisten Georg Giersberg zum obersten Wirtschaftsprüfer zertifizieren lassen. Dies geschah mittels Interview am 05.03.2020 : „Der oberste Wirtschaftsprüfer erklärt, was sich über die Folgen des Coronavirus aus den Abschlüssen lesen lässt.“ Bekanntlich ist Prof. Naumann weder Abschlussprüfer, noch Prüfer für Qualitätskontrolle. Woher Herr Giersberg die Kenntnis hat, dass es sich bei Herrn Prof. Naumann um den "obersten Wirtschaftsprüfer" handelt, wurde im Interview leider nicht angesprochen. Sich über die FAZ zum obersten Wirtschaftsprüfer ausrufen zu lassen, dazu war sich Herr Naumann aber scheinbar nicht zu blöd. Was denkt wohl der echte oberste Wirtschaftsprüfer über diese Auszeichnung für den IDW-Vorstandssprecher, unser Kammerpräsident, Herr Gerhard Ziegler?

Leitbild der Wirtschaftsprüfer

als Grundlage eines Diskussionspapiers auf dem Weg zur nachhaltigen Wirtschaftsprüfung - Positionspapier Wirtschaftsprüfung 2025

 

Der Wirtschaftsprüfer ist vereidigt und übt auch ein öffentliches Amt aus. Dies wissen wir, aber in Deutschland fehlt eine Debatte über die Funktion der Wirtschaftsprüfer und darüber, ob und wie diese Berufsangehörigen ihrer Aufgabe und den Erwartungen an das Amt gerecht werden sollte. Die mittelständische und damit freiberufliche Wirtschaftsprüfung sollte die Möglichkeiten z.B. mit der NWB-WP Praxis nutzen und über die Aufgabe des freiberuflichen Wirtschaftsprüfers in Theorie und Praxis eine Debatte führen und dabei auch die Kriterien (siehe Leitbild) für eine nachhaltige Wirtschaftsprüfung feststellen.

 

Ein Berufstand der ein Handbuch Verhaltenskodex für Berufsangehörige mit 296 Seiten braucht, macht für mich etwas gravierend falsch. Ein solches Handbuch braucht niemand, weil es weder gelesen, noch gelebt wird. Das Buch führt ein Leben als Buchrücken im  Bücherregal. Die Wirtschaftsprüfung braucht vielmehr eine fundamentale Erneuerung, wie ich schon vor 10 Jahren im wp.net-Magazin 2011 geschrieben habe.

 

Die Ostertage finden 2020 überwiegend in den eigenen vier Wänden statt. Verwenden Sie bitte eine Stunde ihrer Zeit und schreiben uns ihre Vorstellungen zur nachhaltigen Wirtschaftsprüfung. Nehmen Sie dazu das Leitbild des Wirtschaftsprüfers zu Hilfe. Überlegen Sie sich, wie der Berufsstand seine hoheitlichen Aufgaben erledigen sollte und was gar nicht geht.

 

Träumen wir nicht länger von einer nachhaltigen Wirtschaftsprüfung, sondern werden wir aktiv und stellen selbst und schnell einen Bauplan für diese neue nachhaltige Wirtschaftsprüfung zusammen.

 

Ich danke allen, die mir Ihre Gedanken zur nachhaltigen Wirtschaftsprüfung per Mail schicken werden.  

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen nachdenkliche österliche Tage und ein schönes Osterfest. Bitte halten Sie auch die Kontaktsperren ein, damit die Corona-Krise ein baldiges Ende nimmt. 

Wir bleiben im Dialog.
Herzliche Grüße
Michael Gschrei