Der wissenschaftliche Ritterschlag für die Leistungen von wp.net Teil 1
Die Wissenschaftler nennen Ihre Studie: „Dual Roles and Blurred Identities: A Framing Contest between Professional Associations in a Local Strategic Action Field” zu deutsch:
Lokale Reaktionen von Berufsverbänden auf globale Anforderungen durch die Prüfungsstandardisierung (in Deutschland)
Die Darstellung der wissenschaftstheoretischen Ableitung und die Forschungsmethoden werden weggelassen. Michael Gschrei hat mit Erlaubnis von Prof. Hansrudi Lenz den dreiteiligen Sachbericht über die 20-jährige WP-Geschichte in Deutschland um einige seiner Erfahrungen aus dieser Zeit ergänzt.
Der erste Teil umfasst die Jahre 1998 bis 2005. Titel: „Intra-professional Conflict in the Field of German Auditing”, zu deutsch: Berufsständische Konflikte in der deutschen Wirtschaftsprüfung.
Lenz & Co zeigen im ersten Teil ihrer Untersuchung, wie die Bemühungen der herkömmlichen Steuerungseinheiten, die "Kommunikation der Segmente" (De Beelde, 2002, S. 461) mit den staatlichen Behörden und der breiteren Öffentlichkeit zu verhindern, um die Jahrhundertwende immer schwieriger wurden.
IDW und WPK verloren zunehmend ihre Fähigkeit, die auseinanderdriftenden Berufssegmente zusammenzuhalten.
Die Einführung der Qualitätskontrolle durch das Audit Establishment ohne Rücksicht auf die Arbeitsstrukturen der betroffenen SmallMediumAuditors (SMA) führte 2005 zur Gründung eines zweiten WP-Berufsverbandes, dem wp.net e.V.
Dieser neue Verband beeinflusste die Herrschaft über die strategischen Handlungsfelder der deutschen Wirtschaftsprüfung grundlegend.
Im ersten Teil wirf das Zusammenwirken des IDW mit der 1961 eingerichteten Wirtschafts-prüferkammer (WPK) erläutert. Von Eigenständigkeit hat wohl die WPK wenig gehalten, denn in den 90ziger Jahren übertrug die WPK dem IDW die Facharbeit. Die beiden Hauptfunktionen von IDW und WPK - das Eintreten für und die Regulierung des WP-Berufsstandes - wurden "praktisch untrennbar und ununterscheidbar“.
Das Vollmachtswahlrecht bei IDW und WPK schaffte politische Planungssicherheit und sicherte den größten Beitragszahlern des IDW den Einfluss auch auf die WPK.
Die bisherige Vorstellung, „dass Wirtschaftsprüfer auf der Basis von drei Fachgutachten unter Einsatz des fachlichen Urteilsvermögens geeignete Prüfungshandlungen zur Sicherung der Prüfungsqualität auswählen, wurde von Prüfungsstandards mit detaillierten Checklisten für die Prüfungspraxis abgelöst.“ Für die neuen großen WP-Gesellschaften in der Struktur der Big-Professional Service Firm musste dieses Opfer gebracht werden. Der Eingriff in die Prüfungspraxis der SMA war enorm und mit dem bisherigen deutschen Verständnis von Wirtschaftsprüfung nicht in Einklang zu bringen,“ schreiben Lenz & Co. Da traf es sich gut, dass schon in den 90ziger Jahren die WPK die Facharbeit an das IDW ausgelagert hatte.
Die Ignorierung der Vorstellungen der prüfenden SMA zu den IDW-PS löste mit IDW&WPK Streit und Debatten aus. Die Einhaltung internationaler Standards war für die Großen Gesellschaften existenziell notwendig, um in ihren internationalen Netzwerken zu bleiben und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten. Für die großen Gesellschaften mussten also von den SMA Opfer gebracht werden.
Ergänzend drängte das herrschende "Audit Establishment IDW & WPK“ Ende der 90ziger Jahre ergänzend zur ISA/PS-Anwendung auch zur Einführung eines Systems zur Überwachung der Prüfungsqualität.
Den prüfenden SMAs wurde als Argument immer wieder in Aussicht gestellt oder "vorgegaukelt“, dass die erfolgreiche Qualitätskontrolle, wie der Peer Review nun hieß, einen Wettbewerbsvorteil bedeuten würde. Dazu wurde das Peer-Review-System als "perfektes Marketinginstrument" dargestellt, das insbesondere von Nicht-Big-4-Firmen genutzt werden könne, um eine hohe Prüfungsqualität zu demonstrieren.
„Nur die Einhaltung einheitlicher und hoher Qualitätsanforderungen an die Berufsausübung kann die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer Prüfungsgesellschaften sichern. Die Mandanten eines Wirtschaftsprüfers verlassen sich darauf, dass die Arbeit den gleichen hohen Qualitätsanforderungen unterliegt, unabhängig davon, ob der Prüfer aus einer großen Gesellschaft oder aus einer mittleren oder kleineren Praxis kommt,“ so das IDW auf ihrer IDW-Fachtagung 2001.
Tatsache war: Diese globalen Regulierungsanforderungen benötigten nur die Big 4 und sonstige global agierende WP-Gesellschaften. Für die SMA war der Peer Review überhaupt nicht notwendig. Hier zeigte sich wiederum, dass sich die WP-Minderheit mit dem alten WPK-Beiratswahlrecht die Mehrheit im IDW und WPK sichern konnte. Dies gelang mittels der Vollmachtstimmen. Dadurch erreichten die sog. IDW/WPK-Vertreter als Doppelspitze immer die Versammlungsmehrheit. Damit konnten IDW/WPK bei der fachlichen und auch aufsichtsrechtlichen Umsetzung der Berufsrechtsänderungen als Doppelspitze erfolgreich agieren.
In dieser Phase war weiter zu beobachten, wie die Big-4-Gesellschaften zunehmend unter Druck gerieten, sich den globalen Standards der Berufsausübung anzupassen. Die WPK reagierte zunächst zurückhaltend, indem sie sich gegen die Einführung eines verpflichtenden Qualitätskontrollsystems aussprach. Dabei verfolgte sie die traditionelle "Verteidigungsstrategie" des deutschen Berufsstandes, die den hohen Standard der Berufsausbildung betonte. Dominiert von den Big4, übernahm das IDW die Führung, um die neuen Standards aktiv zu fördern, indem es den lokalen Rahmen eines einheitlichen und qualitativ hochwertigen produzierenden Berufsstandes mit einem internationalen Rahmen der Standardisierung und externen Qualitätskontrolle verband.
„Um die Scheinwelt der Einheitlichkeit des Berufsstands aufrechtzuerhalten, folgte die WPK diesem Beispiel und schloss sich bald der Frame-Blending-Strategie des IDW an und verstärkte sie (Cornelissen & Werner, 2014; Modell, 2019). Damit hatte das "Audit-Establishment IDW/WPK" (Malsch & Gendron, 2011) erfolgreich eine neue Vorstellung von angemessener Berufsausübung durchgesetzt.“
Die Großen Gesellschaften und das IDW plädierten dafür, das US-System Peer Review zu kopieren. Wobei diese in USA nur bei den Prüfern von Börsenunternehmen Anwendung fand. In Deutschland wurden am Ende alle gesetzlichen Abschlussprüfer einbezogen. Der wahre Grund war vielmehr, dass die Einhaltung internationaler Standards unbedingt notwendig war, um in den internationalen Netzwerken bleiben zu können.
Man warb mit der Schutzbehauptung dafür, man wolle keine Prüfer erster und zweiter Klasse schaffen, deswegen müssen alle Abschlussprüfer die Qualitätskontrolle durchführen lassen. Schon damals wurden jedoch die Prüfer von Börsenunternehmen vom damaligen WPK-Präsidenten mit dem Etikett „Eliteprüfer“ ausgezeichnet. Die Zweiteilung gab es also schon.
Aufgrund der "Einigkeit des Berufsstands" beschloss der deutsche Gesetzgeber 2000 auf Betreiben von IDW/WPK den Peer Review als gesetzliche Zulassungsprüfung alle sechs Jahre für alle gesetzliche Abschlussprüfungen und nicht nur für Prüfungen im Börsensegment ab 2005 verbindlich einzuführen.
Der regulatorisch wirkende deutsche Peer Review für alle Berufsangehörige stand jedoch in scharfem Kontrast zum bisherigen Prüfungsverständnis der freiberuflich tätigen Abschlussprüfer (SMA). Das herrschende Audit-Establishment IDW/WPK ignorierte jedoch dieses "konstitutionelle Problem".
Nicht wenige SMA fühlten sich nicht nur stigmatisiert (Vorwurf Großer Gesellschaften: „Kleine Praxen bestehen die Qualitätskontrolle nicht“), sondern erkannten in Laufe der Zeit auch die daraus resultierenden Gefahren für Ihr Geschäftsmodell WP-Einzelpraxis.
In der 2004 beschlossenen WP/vBP-Berufssatzung wurde vom damaligen WPK-Beirat auf Vorschlag des WPK-Vorstands im § 24d der Satzung das Vier-Augen-Prinzip verankert. Diese Regelung wurde aufgrund eines Einspruchs eines wp.net-Mitglieds von der Rechtsaufsicht aufgehoben, weil § 24 gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstieß. Die verfassungswidrige Forderung im Zusammenhang mit der verpflichtend eingeführten Berichtskritik lautete: Wenn für die Berichtskritik kein Mitarbeiter der Praxis zur Verfügung steht, dann muss eine externe Person verpflichtet werden. Damit wäre die Einzelpraxis als Abschlussprüfer Geschichte gewesen.
In IDW-Fortbildungsveranstaltungen zum Entwurf der VO 1/2005 wurde die Einzelpraxis als geschichtlich überholt bezeichnet ("Einzelpraxen entsprechen nicht mehr dem Berufsbild der modernen Wirtschaftsprüfung").
Fünf Jahre später erdreistete sich der gerade zum PWC-Chef gewählte Prof. Winkelmann in der FAZ am 30.6.10 Herrn Giersberg im Interview den Abschied aller Mittelständler aus der gesetzlichen Abschlussprüfung „anzukündigen“[1].
Die Einführung eines verpflichtenden Qualitätsüberwachungssystems neben der Einführung der IDW-PS wirkten sich auf die verschiedenen Segmente des Berufsstandes unterschiedlich aus. Den Großen der WP-Branche erleichterte die Angleichung an internationale Standards den Transfer von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedsfirmen, da sie auf bestehenden globalen Arbeitsstandards und Qualitätskontrollsystemen aufbauen konnten.
Das Qualitäts-Überprüfungssystem entsprach den Bedürfnissen der großen Prüfungsgesellschaften, da es auf die Qualitätsbedenken der Öffentlichkeit einging und Prüfungspraktiken legitimierte, die systematisch waren und eine regelbasierte Delegation von Prüfungsaufgaben von Prüfern an Nachwuchskräfte beinhalteten.
Für die Gruppe der SMA hatte sich die Berufsausübung jedoch deutlich verändert, meist im Gegensatz zu den Versprechungen und Erwartungen der IDW/WPK-Vertreter. Das etablierte Qualitätskontrollsystem erzwang die Übernahme der ISA/PS als neue Prüfungs- und Berufsstandards. Die Qualität der etablierten Arbeitspraktiken wurde nun an abstrakten Standards gemessen, die vor allem für Großunternehmen und nicht für kleine und mittlere Unternehmen geschaffen wurden. Aufgrund ihrer langjährigen Beziehungen zu meist regionalen Mandanten hatte die Mehrheit der freiberuflich tätigen Prüfer keinerlei Erfahrungen mit formellen externen Qualitätskontrollen; außerdem verfügten sie nicht über die Dokumentationssysteme, die für den Umgang mit den für die Prüfung von Unternehmen des öffentlichen Interesses vorgesehenen internen Kontrollen erforderlich waren. Die Prüfungspraktiker mussten völlig neue Qualitätskontrollsysteme schaffen, um die Prüfungshandlungen formal richtig zu dokumentieren. Prof. Lenz & Co. zitieren zu diesen SMA-Problemen ein Mitglied aus dem IDW-Vorstand:
Es ist auch nach meiner Beobachtung so, dass die Belastungen für kleinere und mittlere Praxen tendenziell größer sind als für größere Einheiten. Dies lässt sich damit erklären, dass Aufwendungen für organisatorische Veränderungen, den Aufbau von fachlichem Know-how etc. oft zu einem großen Teil den Charakter von Fixkosten haben, für die bei kleineren Einheiten im Berufsstand eine viel schmalere Verteilungsbasis zur Verfügung steht. (IDW-Jahrestagung, 2005)
Obwohl sich erste Debatten über die höhere Belastung kleinerer Prüfungsgesellschaften abzeichneten, blieben die Folgen der Neudefinition der Berufsausübung weitgehend im Verborgenen. Dies wurde unterstützt dadurch, dass kleineren Prüfungsgesellschaften mehr Zeit zugestanden wurde, um die ersten Qualitätsprüfungen zu bestehen (bis 2005 teilweise bis 2006). Bis Ende 2004 hatten nur sehr wenige Einzelberufsangehörige und kleine Prüfungsgesellschaften am Qualitätskontrollsystem teilgenommen.
Daraus erkennen wir, dass mit der bereits 2000 getroffenen Entscheidung für die Qualitätskontrolle über alle gesetzlichen Abschlussprüfer der Startschuss für die Vertreibung des SMA-Prüfers aus dessen Kernbereich der gesetzlichen Abschlussprüfung bewusst in Kauf genommen wurde. Die Ausstiegsquote der SMA aus der Abschlussprüfung liegt bis heute bei über 30%.
Die Qualitätskontrollen bei den verbliebenen SMA-Praxen wurden im Verlauf der letzten 15 Jahre immer mehr verschärft und bürokratisiert. Ende 2018 forderte ein Großteil der Mitglieder der Kommission f. Qualitätskontrolle (KfQK) die vollumfänglichen Auftrags-prüfungen (WPK-Magazin 3-2018).
Ganz anders bei den großen WP-Gesellschaften. Über die Qualitätskontrollen bei den großen Gesellschaften wurde erst Anfang 2021 bekannt, dass die KfQK und die APAS (früher APAK) mit minimalsten Auftragsprüfungen (rund 1 Promille) einverstanden sind. Die Prüfungssicherheit über die Prüfungsqualität darf sich der PfQK über die Auswertung einiger Nachschauberichte verschaffen. Inzwischen unterstützt auch die Rechtsaufsicht im BMWi diese „Anscheins-Qualitätskontrolle“ bei den großen Gesellschaften.
[1] „Winkeljohann ist daher davon überzeugt, dass sich der Wirtschaftsprüfermarkt mit vier Großanbietern (nach PWC rangieren in Deutschland KPMG, Ernst & Young sowie Deloitte auf den folgenden Plätzen) stabilisieren wird. "Kleine Prüfungsgesellschaften haben nur noch als Boutiquen in bestimmten Nischen eine Überlebenschance", ist er überzeugt.“
Im Jan. 2005 gegründeten 11 Berufsangehörige in München den wp.net e.V. Verband für die mittelständische Wirtschaftsprüfung.
Der zweite Teil der Prof. Lenz Studie beschreibt die bundesweite Mobilisierung des Widerstands von 2005 bis 2011 durch wp.net.
Der dritte Teil beginnt mit dem Höhenflug der wp.net-Kammerpräsidentschaft 2011, führt hinab in die Tiefen des „Fast-Untergangs“ von wp.net im Sommer 2012. Nach der WPK-Beiratswahl 2014 beginnt die Phase der Erneuerung von wp.net. Mit dem Wahlergebnis von 47% für wp.net im Jahr 2018 führte die Erneuerung wieder in den Vorstand der Kammer zurück.
Der EY-Wirecard-Prüferskandal ab 2020 legte die fragile Koalitionsstruktur offen. Deswegen haben wir die Lenz & Co-Berichterstattung um zwei weitere Jahre Kammererfahrung - bis Ende 2020 - erweitert.